Begründung der Jury

Dass das in der Weimarer Republik viel gelesene und oft aufgeführte Werk des Autors und Dramatikers Bruno Frank weitgehend vergessen scheint, das hat mit der Sprunghaftigkeit des Publikums zu tun. Dabei träfe dieser feine Stilist, der dem jüdischen Großbürgertum entstammte und auch als Lebemann Aufsehen erregte, wohl noch heute vielfach den Geschmack der Leserschaft. Bruno Franks vielleicht kraftvollste Schrift allerdings, eine vor Zorn und Abscheu vibrierende Donnerrede gegen die „Schlammexistenzen“ der nationalsozialistischen Bewegung – und gegen Adolf Hitler im Besonderen –, die konnte bislang niemand kennen, denn der im Jahr 1939 für eine Schriftenreihe von Franks engem Freund und kalifornischem Nachbarn Thomas Mann geschriebene Text blieb aufgrund des Kriegsausbruchs unveröffentlicht. Wie eine Zeitkapsel ist er auf uns gekommen, verfasst zu einer Zeit, zu der der Autor, der über die Judenpogrome und Verfolgungen genau Bescheid wusste, immer noch leise hoffen konnte, besagtes Volk befreie sich alsbald „von jener Spottgeburt aus Lüge und Rachebrunst“. Dem verdienstvollen Verlag Das kulturelle Gedächtnis ist es zu verdanken, dass diese wuchtige und zugleich glasklar analysierende Schrift, die in der infernalischen Lüge das Grundprinzip des NS-Staats ausmacht („Schwindel die ganze nationalsozialistische Firma“), nun in prächtiger Aufmachung und Kommentierung zugänglich ist. Das Buch kommt just zur rechten Zeit, denn wieder macht man mit Lügen Politik, diesmal solchen von gestohlenen Wahlen und haustierfressenden Migranten. Und so strahlen viele der 85 Jahre alten Sätze eine unheimliche Aktualität aus: „Jede Parole war ein Betrug“, heißt es. Oder auch: „Hitler selbst und seine Helfer schufen den Zustand, aus dem sie brüllend den Ausweg in ihr Drittes Reich anboten. Es war alles Lüge, die Gefahr und die Rettung.“ Diese faszinierende Wieder-, nein: Neuentdeckung aus der Feder eines unbeugsamen Moralisten ist eine Trouvaille und das Buch des Monats Februar 2025 der Darmstädter Jury. (Oliver Jungen)
Begründung der Jury

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Vincenzo Cerami, geboren 1940 in Rom und 2013 dort verstorben, hat gemeinsam mit Roberto Benigni das Drehbuch für den Film „La vita è bella“, dt. „Das Leben ist schön“ geschrieben. Der Film, der 1997 in die Kinos kam und die Geschichte einer aus einer italienischen Kleinstadt nach Auschwitz deportierten jüdischen Familie erzählt, ist der bislang international erfolgreichste italienische Film.
Welch ein großartiger Erzähler Cerami war, zeigt nun auch Esther Hansens Neuübersetzung von Ceramis Debütroman „Un borghese piccolo piccolo“ aus dem Jahr 1976. „Ein ganz normaler Bürger“ erzählt die Geschichte des kurz vor der Rente stehenden Giovanni Vivaldi. Er möchte seinen Sohn Mario im gleichen Ministerium unterbringen, allerdings in einer höheren Position. Damit der Aufstieg gelingt, legt sich Giovanni mächtig ins Zeug, wanzt sich an seinen Vorgesetzten heran, lässt nichts unversucht. Der Plan scheint aufzugehen, doch dann geschieht ein Unglück, durch das sich ein klaffender Abgrund auftut. Indem Cerami die Handlung einbettet in die bleierne Atmosphäre im Rom der 1970er-Jahre, gewinnt das traurige Schicksal Giovannis parabelhafte Züge. Die Lakonie im Erzählton und die präzise Bildhaftigkeit der Sprache machen den schmalen Roman „Ein ganz normaler Bürger“ zu einem nachwirkenden Leseereignis.
Darmstädter Jury „Buch des Monats e.V.“, Beate Tröger